Schlangenlinienförmig zieht sich die Strasse von Riggisberg in Richtung Gurnigel. Nur nicht zu schnell in die Kurve einbiegen, denke ich mir, als die erste spitze Kehre an der Rampe zum Pass unvermittelt im bewaldeten Bergstück vor mir auftaucht. Vollbeladen mit meinem 40 cm-Ninja-Dobsonian, Okularen, Karten, Schlafsack und Zelt bewege ich meinen Octavia, entlang der Grenze zur Fliehkraft, den Berg hinauf. Es müssen mindestens 28 Jahre her sein, seit ich das letzte Mal diesen — durch die BBC mit dem Prädikat Top10 Star Parties of the World ausgezeichneten — Event besucht habe. Irgendwie hatte es nie mehr wirklich klappen wollen. Umso mehr freue ich mich jetzt, nach langer Abstinenz, das Besondere wiederzuentdecken.
Der Beobachtungsplatz befindet sich oben auf der Passhöhe, auf einem inzwischen stillgelegten Panzerschiessplatz der Schweizer Armee, mit Blick über den Thunersee und in die Alpenkette des Naturparks Gantrisch.
Als ich im Schritttempo auf den Platz einbiege, befinde ich mich urplötzlich inmitten eines grossen Fuhrparks von ordentlich parkierten PWs, SUVs, Campern — mit und ohne Anhänger. Dazwischen wuseln viele Sternfreunde hin und her, arbeiten am Aufbau ihrer Instrumente oder aber beobachten im Campingstuhl das muntere Treiben. Das Ganze wirkt so ähnlich wie auf dem Parkplatz eines Grossverteilers am Samstag, nur dass hier noch deutlich mehr Raum zwischen den Fahrzeugen mit Teleskopen und Camping-Utensilien gelassen wird. Schnell habe ich am Automaten meinen Parkplatz und die Campinggebühr von insgesamt 20 Franken bezahlt und mir einen tollen Zeltplatz mit himmlischer Aussicht gesichert.
Jetzt geht es ans „Meet and Greet“, denn viele Sternfreunde haben den teilweise langen Weg unter die Räder genommen. Fast ausschliesslich sind CH-Kontrollkennzeichen vor Ort, das mag Corona geschuldet sein. Ein paar Sternfreunde teilen Live-Views mit ihrer Community oder besprechen gar einen eigenen Podcast via Handy.
Erfreulich viele Westschweizer haben sich auf der Panzerplattform eingefunden, und auch von der AVA sind einige Sternfreunde mit dabei.
Im Gegensatz zu den späten achtziger resp. frühen neunziger Jahren, als eine Sternkarte und ein Telradsucher die wichtigsten Hilfsmittel waren, surren jetzt viele elektronisch gesteuerte Montierungen, mit Linsen oder Spiegelteleskopen, häufig in Kombination mit einer Digitalkamera, den Beobachtungsplan für die Nacht ab. Dazwischen befinden sich grössere Dobsonians, welche mit ihrer Öffnung “kübelweise” Photonen lichtschwacher Objekte in die Augen “trichtern”.
Schnell wird es Nacht und die Milchstrasse schneidet ein leuchtendes Band in den dunklen Himmel. Die Sterne stehen “bockstill” — unglaublich sage ich mir immer wieder, was für eine Nacht! Die bekannten Sternhaufen und Gasnebel im Sternbild Schütze erscheinen detailliert im Okular und das bei tiefster Stellung. Wie in Namibia, einfach nur nördlicher, kommt es mir in den Sinn. Der Wind weht nur leicht – fast nicht wahrnehmbar. Nach einiger Zeit des ungläubigen Staunens gehe ich auf eine weitere Runde und kann mir das eine oder andere Objekt durch die vielen Teleskope anschauen. Interessante Diskussionen entstehen. Von lieben Vereinskollegen werde ich gar zu heissen Würstchen mit Brot und Senf, Kaffee mit Guetzli und einem himmlisch-heimischen Kräuterbrand eingeladen.
So gestärkt geht es in die nächste Beobachtungsrunde und langsam wird es ruhig auf dem Gelände. Viele haben sich schon schlafen gelegt oder sind bereits wieder mit ihrem Auto nach Hause losgefahren. Bis ich mich schliesslich von den Spiralarmen in M33 und den Nebelfilamenten in M42 verabschiede, ist es 3:30 Uhr. Mit vielen guten Eindrücken kehre ich in mein Zelt zurück.
Aufnahmedaten: Nikon D850, Nikkor 12-24 mm f/2.8G ED AF-S bei 12 mm und f/2.8. Empfindlichkeit ISO 64 bis 6400. Belichtungszeit 1/3200 s bis 20 s. Intervall 25 s. Weissabgleich in der Nacht 3200 K. Panning mit Sky-Watcher Star Adventurer und 1/2 Sterngeschwindigkeit. 2141 Einzelbilder im RAW-S Format (4128 x 2752), total 14.8 Stunden. Intervalometer MIOPS Smart+ Camera Trigger. Tag/Nacht Übergänge (Holy Grail) gesteuert via USB mit qDslrDashboard auf einem Android-Tablet. Externe Stromversorgung via Thether Tools Case Relay ab USB Powerbank. Bildbearbeitung und Video-Export mit Adobe Lightroom und LRTimelapse.